Wohnungslosen Menschen zuerst und ohne Vorbedingungen eine eigene Wohnung geben - diese simple Idee steckt hinter Housing First. In mehreren deutschen Städten wird das Konzept bereits erfolgreich umgesetzt, jetzt folgt Stuttgart. Beteiligt sind der Caritasverband für Stuttgart als federführender Projektträger sowie die Ambulante Hilfe e.V., die eva Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V. und die Sozialberatung Stuttgart e.V. Die vier Personalstellen wurden mit dem Doppelhaushalt 2022/2023 für vier Jahre bewilligt, die Vector Stiftung beteiligt sich ebenfalls an der Finanzierung.
In der bestehenden Stuttgarter Wohnungsnotfallhilfe steht eine eigene Wohnung häufig erst am Ende der Hilfekette: Zunächst muss sich der oder die Betroffene beraten lassen, seine Sucht oder psychischen Probleme angehen, kommt von der Notunterkunft in eine ambulante oder stationäre Unterbringung - und kann erst am Ende mit viel Glück in eine eigene Wohnung ziehen. "Dadurch fallen viele Menschen leider durchs Raster", erklärt Harald Wohlmann, Bereichsleiter Armut, Wohnungsnot, Schulden bei der Stuttgarter Caritas. Housing First kehrt das bisherige System um: Am Anfang steht die Vermittlung der wohnungslosen Person in eine eigene Mietwohnung mit unbefristetem Mietvertrag. Die Gründe für den Wohnungsverlust werden erst danach geklärt und bearbeitet. "Wohnraum ist ein Grundrecht, das man sich nicht erst verdienen muss", ist Harald Wohlmann überzeugt. "Wohnungslosigkeit bedeutet Stress und Anspannung - erst aus der Sicherheit und Geborgenheit einer eigenen Wohnung heraus kann man die eigenen Sachen richtig anpacken."
Die Stadt Stuttgart investiert 1,8 Millionen Euro in Housing First: "Wir wollen damit vor allem einen langen Aufenthalt im Hilfesystem der Stuttgarter Wohnungsnotfallhilfe oder in einer städtischen Unterbringung vermeiden", sagt Dr. Alexandra Sußmann, Bürgermeisterin für Soziales und gesellschaftliche Integration der Landeshauptstadt Stuttgart. Das aktuelle System funktioniert nämlich nur dann gut, wenn am Ende der Hilfekette privater Wohnraum vermittelt werden kann - das ist aber beim angespannten Stuttgarter Wohnungsmarkt für wohnungslose Menschen kaum möglich. Die Menschen bleiben deshalb länger im Hilfesystem als nötig.
Außerdem fördert die Vector Stiftung das Projekt mit 150.000 Euro. Vorständin Edith Wolf erklärt: "Als Vector Stiftung liegt uns die Verhinderung von Wohnungslosigkeit sehr am Herzen. Neben unserer eigenen Sozialimmobilie fördern wir verschiedene Projekte, um Wohnraum zu vermitteln oder die Lebensbedingungen von wohnungslosen Menschen zu verbessern. Housing First ist für uns ein wichtiger, überfälliger Paradigmenwechsel. Ein unbefristeter Mietvertrag bietet Sicherheit und ohne diesbezügliche Sorgen lassen sich auch andere Themen angehen."
Über die kommenden vier Jahre sollen insgesamt 50 Wohnungen im Projekt vermittelt werden. Gesucht werden dafür vor allem 1-2 Zimmerwohnungen für Alleinstehende, aber auch Wohnungen für Paare und für Familien. Die finanzielle Situation der Mieter_innen ist dabei geklärt und die Vermieter_innen haben stets eine Ansprechperson im Team von Housing First Stuttgart. "Gute Nachbarschaft ist im Schwäbischen wichtig - wir werden deshalb sorgfältig prüfen, dass die Mieterinnen und Mieter gut ins Wohnumfeld passen", erklärt Projektleiterin Ina Thaidigsmann.
Kontakt
Wer eine Wohnung anzubieten hat oder als wohnungsloser Mensch eine Wohnung sucht, kann sich unter der Telefonnummer 0711/1209-2717 beim Projektteam melden. Weitere Informationen finden Interessent_innen auch auf der Homepage www.housing-first-stuttgart.de.
Das Konzept
Seit Beginn der 1990er-Jahre wird Housing First in verschiedenen Ländern erfolgreich bei der Bekämpfung der Wohnungslosigkeit eingesetzt. Die Idee stammt ursprünglich aus den USA und hat sich vor allem im englischsprachlichen Raum und in Skandinavien als fachlicher Standard in der Wohnungslosenhilfe etabliert. In Berlin wurde Housing First seit 2018 mit Erfolg als Projekt durchgeführt. Auch in weiteren deutschen Großstädten gibt es Modelle nach dem Housing First Konzept.
Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Stuttgart
In Stuttgart leben schätzungsweise bis zu 150 Obdachlose, also Menschen die im Freien übernachten. Hinzu kommen rund 5.350 Wohnungslose - das sind Menschen ohne eigene Wohnung und Mietvertrag. Sie leben zum Beispiel in sogenannten Sozialhotels oder in ambulanten oder stationären Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe. Das Projekt Housing First richtet sich an obdachlose und wohnungslose Menschen.