In der Corona-Krise bewährt sich in Stuttgart die Arbeit im Suchthilfeverbund. Die Hilfe und Beratung über Telefon und E-Mail wird stark nachgefragt, die Suchtklinik am Klinikum Stuttgart hat wie alle anderen Dienste und Einrichtungen weiterhin geöffnet. Dennoch hoffen alle Träger auf eine baldige Lockerung der Kontaktbeschränkungen - denn für Menschen mit Suchterkrankungen ist die Situation besonders schwer.
Das Suchthilfenetz in Stuttgart hat gut auf die Krise reagiert," fasst Dr. Maurice Cabanis, Leitender Oberarzt der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten am Klinikum in Stuttgart stellvertretend für seine Kolleginnen und Kollegen im Suchthilfeverbund für Stuttgart die Situation nach rund sechs Wochen im Corona-Ausnahmezustand vorsichtig optimistisch zusammen. "In der Krise bewährt sich die Arbeit im Verbund", sagt auch sein Kollege im Suchthilfeverbund Dr. Klaus Obert, Bereichsleiter Sucht-und Sozialpsychiatrie im Caritasverband für Stuttgart e.V.. Das Netz trägt, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort "leisten eine tolle Arbeit und sind sehr engagiert und bieten eine bedarfsorientierte Versorgung an".
Gleichwohl: wer sich die Situation suchtkranker Menschen in der Corona-Krise ansieht, blickt wie durch ein Brennglas: Soziale Isolation, die Angst um die Existenz, eine Verunsicherung angesichts dessen was ist und noch kommen könnte, zeigt sich hier noch deutlicher und schärfer. Stephanie Biesinger von der Suchtberatung für Frauen und Mädchen in Stuttgart Lagaya hat mit ihren Kolleginnen eine "Routine im Chaos" geschafft, indem die bestehenden Angebote in anderer Form weitergeführt werden und dadurch eine Betreuungsstruktur entstanden ist. Teams wurden verkleinert, die Telefon- und E-Mail-Beratung hat wie bei allen anderen Trägern vielfach den direkten Kontakt mit den Klientinnen und Klienten ersetzt. Bei Bedarf gibt es aber auch noch "face to face" Kontakte unter Einhaltung der Schutzbestimmungen. Anstatt im Büro trifft man sich jetzt beim Spazierengehen oder, wie es ihre Kollegin Cornelia Holler von der eva berichtet: "auf unserer Dachterrasse". Der Bedarf an Beratung nehme zu, sagt auch Bernd Klenk von Release. "Wir gehen deshalb auch offensiv auf die Menschen zu und rufen von uns aus an."
Alle im Suchtverbund berichten davon, "wie dankbar die Menschen sind, dass wir nach wie vor für sie da sind", formuliert es Stephanie Biesinger. Doch nach Wochen "spürt man auch die Schwere und Bedürftigkeit bei unseren Klientinnen sehr stark". Viele, die stabil waren "werden jetzt wieder kippelig", weiß sie. "Die Rückfälle nehmen zu", berichtet auch Cornelia Holler von der eva. Sie sorgt sich wie die Kolleginnen und Kollegen, etwa auch von Pro Kids, dem Angebot für sucht- und psychisch belastete Familien beim Caritasverband, besonders um Kinder, die in suchtbelasteten Familien leben und seit Wochen zu Hause sein müssen. Denn die Menschen leiden nicht nur unter den eingeschränkten Hilfsangeboten. "Alles was ihnen darüber hinaus geholfen hat, ist ihnen genommen: vom Fitnessstudio bis zum Bummel in der Stadt".
In der Klinik für Suchtmedizin werden nach wie vor Menschen zur Entgiftung aufgenommen. Für die Kollegen war es "ein großes Anliegen, die Suchtklinik unter bestimmten Aufnahmevoraussetzungen offen zu halten", sagt Dr. med Cabanis. Problematisch sieht er derzeit aber die Weiterversorgung der Patienten: "Der ‚Abfluss‘ aus den Kliniken ist schwierig, weil viele Einrichtungen geschlossen sind."
Viele Kolleginnen und Kollegen übernehmen nun Aufgaben, die bisher von Pflegediensten und etwa Nachbarschaftshilfen erledigt wurden. "Soziale Arbeit reagiert flexibel - wir machen alles, was ansteht", sagt seine Kollegin, Ute Reser. Sie ist Sozialarbeiterin am Zentrum für Seelische Gesundheit im Suchtmedizinischen Behandlungszentrum Mitte.
Ein trägerübergreifendes Netzwerk wie der Suchthilfeverbund ist in Zeiten der Krise besonders wertvoll, um die Bedarfe in unserer Stadt zu analysieren, Hilfen weiterzuentwickeln und so Hilfesuchende ganzheitlich im Blick zu behalten. Die Träger, die sich im Suchthilfeverbund zusammengeschlossen haben, pflegen den Kontakt nämlich nicht erst seit Beginn der Krise, sondern arbeiten bereits seit 2007 regelmäßig und aktiv gut zusammen.
Der Suchthilfeverbund Stuttgart
Die Träger von Diensten und Einrichtungen der Suchthilfe Stuttgart haben sich seit Februar 2007 zum Suchthilfeverbund Stuttgart zusammengeschlossen. Im Verbund können die Träger ihre Versorgungsangebote besser aufeinander abstimmen und gemeinsam weiterentwickeln. Zum Verbund gehören der Caritasverband für Stuttgart e.V., die Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V., Release Stuttgart e.V., Lagaya e.V., das Klinikum Stuttgart, die Wilde Bühne e.V., Blaues Kreuz Stuttgart e.V. und der Gesundheitsladen e.V..