Die Frauenpension des Fachbereichs "Hilfen für Frauen" der Caritas Stuttgart ist eine Zuflucht für Frauen, die keine Wahl mehr haben. Manche stehen im Winter ohne Jacke oder Schuhe vor der Tür, ihr ganzer Besitz passt in eine Plastiktüte. Für die meisten Frauen markiert die Ankunft in der Frauenpension im Veielbrunnenweg in Stuttgart-Bad Cannstatt das Ende einer langen Spirale nach unten. Arbeitslosigkeit, Alkoholmissbrauch, Drogensucht oder Gewalt in der Familie haben die Lebensläufe der Frauen gezeichnet.
Maria Nestele leitet die Frauenpension seit deren Gründung vor 25 Jahren und hat das Haus konsequent zu einer der niedrigschwelligsten Einrichtungen für wohnungslose Frauen in Deutschland ausgebaut. Bundesweit hat das Haus mit seinem breiten Angebot bis heute Vorbildcharakter und Maria Nestele erhielt 2011 für ihre Arbeit das Bundesverdienstkreuz.
Die Situation für wohnungslose Frauen verschärft sich
So wertvoll ihre Arbeit ist, sie gleicht immer mehr dem Tropfen auf dem heißen Stein. Nach einem Vierteljahrhundert Frauenpension zieht Maria Nestele eine deprimierende Bilanz: 1999 konnten noch 22 Frauen auf dem freien Markt eine Wohnung ergattern. 2018 haben lediglich drei der insgesamt 67 Bewohnerinnen eine eigene Wohnung gefunden - drei weitere konnten in ein Wohnhaus der Caritasstiftung ziehen. "Die Situation für wohnungslose Frauen verschärft sich von Jahr zu Jahr", sagt Nestele.
Erst einmal zur Ruhe kommen ist das Wichtigste
Die Frauenpension funktioniert anders als vergleichbare Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe. Die Unterbringung ist nicht an die Mitarbeit der Frauen gekoppelt. Niedrigschwellig heißt, Frauen in Notlagen in erster Linie einen sicheren Platz anzubieten - ganz unabhängig davon, ob sie schwer suchtkrank, psychisch krank, innerlich und äußerlich verwahrlost sind. "Forderungen und Erwartungen sind in dieser Situation fehl am Platz. Die Frauen dürfen einfach hier sein, sie können zur Ruhe kommen und werden in Ruhe gelassen, wenn sie das möchten", sagt Nestele.
Der Betreuungsschlüssel ist gut: Sechs Sozialarbeiterinnen und eine Krankenpflegerin mit sozialpsychiatrischer Zusatzqualifikation kümmern sich um die 52 Bewohnerinnen; dazu eine Mitarbeiterin in der Verwaltung, eine Hauswirtschafterin, der Hausmeister, Auszubildende und junge Frauen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ).
Die Frauenpension ist immer ausgebucht
Für wohnungslose Frauen gibt es in Stuttgart verschiedene Angebote zur vorübergehenden Unterbringung. Die Frauenpension ist eine davon und sie ist immer ausgebucht. Manche Frauen bleiben nur vier Wochen, andere jahrelang. Suchtberatung und psychiatrische Dienst kommen ins Haus, die Frauen können die Kunstwerkstatt nutzen oder die Rechtsberatung in Anspruch nehmen. In der Kleiderkammer bekommen sie gespendete Mode für wenige Cent, der kleine Kiosk im Aufenthaltsraum bietet regelmäßig Kaffee und Kuchen an. Die Bewohnerinnen können, aber sie müssen sich nicht helfen lassen.
Die 52 Zimmer sind sauber, gepflegt und mit hellen Möbeln und karierter Bettwäsche freundlich eingerichtet; jedes Zimmer hat eine kleine Kochnische, manche haben sogar ein eigenes Bad. Alles riecht frisch und gewienert, wie in einem ganz normalen Mietshaus der Mittelschicht. Auch in der zweiten Einrichtung in der Kegelenstraße mit 24 Zimmern achten die Teams auf eine angenehme Atmosphäre. "Wo es arm ist, darf es nicht ärmlich aussehen", betont Nestele. Sie und ihre Kolleginnen sprechen mit starker Stimme für "ihre" Frauen und machen das sichtbar, was in unserer Gesellschaft ausgeblendet wird. Frauen, die unter teils unvorstellbaren Umständen mitten unter uns leben, viele trotz aller Rückschläge voller Kraft und Überlebenswillen. So viel Normalität wie möglich zu schaffen, ist daher ihr Anliegen. Die Frauen dürfen ihre Haustiere mitbringen und Übernachtungsgäste beherbergen - dafür schließen sie einen Übernachtungsvertrag ab und übernehmen Verantwortung.
So viel Normalität wie möglich schaffen
Das Leben am Rand der Gesellschaft hat bei den meisten Spuren hinterlassen. Regeln einzuhalten und sich in eine Hausgemeinschaft einzufügen, ist für die Frauen nicht leicht. Die Sozialarbeiterinnen kennen das Ausmaß der Destabilisierung und die psychische Verelendung. Niedrigschwellig heißt daher auch, die Hausordnung wenigstens annähernd einzuhalten; nur Gewalt wird nicht toleriert. Sie sehen bereits Erfolge, wenn sich die Frauen um ihre tägliche Hygiene kümmern und es schaffen, sich selbst zu versorgen.
Mietprostitution als letzter Ausweg
Viele Frauen kommen aus der sogenannten Mietprostitution und hatten oft jahrelang lediglich einen Unterschlupf in der Wohnung eines Bekannten - ein Schlafplatz mit kalkulierbarem Risiko und meistens von Gewalt geprägt. "Wir bieten diesen Frauen oft das erste Mal nach vielen, vielen Jahren der Deklassierung und Verelendung eine Idee von Würde", so Nestele.
Manche von ihnen kommen wieder wacklig auf die Beine, viele nicht. Und die, die durchaus allein leben könnten, stehen vor einem Wohnungsmarkt, der keiner mehr ist: "Mittlerweile herrscht dort ein brutaler Verdrängungswettbewerb um den wenigen günstigen Wohnraum", sagt Nestele. "Unsere Frauen sind Mieterinnen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten und auf diesem hart umkämpften Markt nahezu chancenlos."
Unterschlupf für junge Frauen zwischen 16 und 18 Jahren
Seit kurzem bietet die Frauenpension zwei sogenannte Unterschlupfplätze für minderjährigen Frauen zwischen 16 und 18 Jahren an, die das System der Jugendhilfe bereits ausgeschöpft haben. "Diese jungen Frauen schreien förmlich nach Liebe und Zuwendung und bräuchten manchmal einfach ihre Mutter", berichtet Birgit Reddemann. Die Sozialpädagogin bedauert, dass es für diese jungen Frauen kaum vergleichbare Angebote gibt.
Aktuell sind in Stuttgart rund 800 Frauen wohnungslos. In den 1990er-Jahren gab es in Stuttgart zwarnicht ausreichend, aber immerhin noch Wohnraum für Menschen, die auf dem regulären Wohnungsmarkt keine Bleibe finden. Heute hat sich der Anteil der mietgebundenen Wohnungen in der Stadt halbiert und es stehen rund 4.700 Haushalte auf der Warteliste für eine Sozialwohnung.