"Dankbar, dass ich hier leben darf"
Dass die 46-Jährige einen Hund hat, machte ihre Suche nicht einfacher. "Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Speedy zu sein”, stellt sie klar.
»Ich hatte Angst vor meinem Freund«
Nachdem ihr Ehemann vor neun Jahren gestorben ist, ging Tanja Dimitralas eine neue Beziehung ein - doch diese tat ihr nicht gut. Ihr Freund war drogen- und alkoholabhängig. "Ich habe ihn vorher noch nie so gewalttätig erlebt”, sagt sie leise, "ich hatte Angst vor ihm, pure Panik, und keine Ahnung, wie ich ihm entkommen sollte.”
Auch Tanja Dimitralas hat einmal sehr viel getrunken, zu Hochzeiten waren es zwei Flaschen Wodka am Tag. Wenn sie noch einmal damit anfangen würde, wäre das ihr Ende. »Ich habe schon alles durch: Magenbluten, Leberversagen und habe Blut gespuckt«, erzählt sie, »die Lebertransplantation stand im Raum. Dabei hänge ich an meinem Leben und frage mich, wie es so weit kommen konnte.«
Auch Drogen hat sie ausprobiert und war wegen eines Verkehrsunfalls auf Drogen und Alkohol im Gefängnis. Seit Oktober 2017 ist die 46-Jährige mit den langen dunklen Haaren nun trocken, derzeit fühlt sie sich gut und ist dankbar, dass sie in der Frauenpension leben darf.
Die Schwierigkeit, der Sucht zu widerstehen
»Natürlich stecken hier viele Frauen unter einem Dach - da gibt es auch Probleme -, aber ich habe hier eine ganz liebe Freundin mit Hund gefunden, mit der ich alles zusammen mache«, sagt sie glücklich. Das hilft ihr, der Sucht zu widerstehen, ebenso wie die Gespräche mit der Sozialarbeiterin und die Suchtberatung. »Es kommt auf die innere Einstellung an«, so Tanja Dimitralas, »die will ich beibehalten. Außerdem habe ich meine Ernährung umgestellt«, sie lächelt, »ich werde hier noch so richtig zum Öko.«
Seit sie in der Frauenpension lebt, hat sie auch wieder Kontakt zu ihrer Familie. Ihre 18-jährigen Zwillinge leben bei ihrer Mutter. »In der Sucht konnte ich ihnen nicht unter die Augen treten«, sagt sie mit rauer Stimme, »nach meinem Entzug habe ich wieder Kontakt zu ihnen aufgenommen.« Rund 275 Euro hat die Stuttgarterin im Monat zur Verfügung - den Kauf des Ventilators für 25 Euro hat sie sich lange überlegt. Ihr größter Traum wäre ein kleines Häuschen - »weit weg von der Stuttgarter City« - mit ihrer Freundin und den beiden Hunden. Ein Ort, an dem sie zur Ruhe kommen könnte.
»Einige Dinge in meinem Leben sind schlecht gelaufen «, weiß sie und spricht von Missbrauch und Gewalt in ihrer Kindheit. »Ich möchte die Schuld aber nicht auf andere schieben«, wirft sie ein, »man ist immer selbst dafür verantwortlich, was man tut.«
Auf der Suche nach dem Sinn im Leben
Die gelernte Friseurin könnte sich gut vorstellen, eines Tages wieder in ihrem Beruf zu arbeiten. »Gerade bin ich für den Arbeitsmarkt aber nicht geeignet«, betont sie, »jetzt konzentriere ich mich erst einmal darauf, gesund zu werden. Eine Perspektive bildet die Mitarbeit in einem Hundecafé: »Das wäre toll«, sagt sie begeistert, »und würde meinem Leben Sinn geben.«
Auch Cristina Sole (Name geändert) sucht mit Hilfe des Teams der Frauenpension nach dem Sinn. Die 61-Jährige wohnt seit einigen Monaten im Veielbrunnenweg, nachdem sie zuvor sechs Jahre auf der Straße gelebt hat. »Ich wäre fast gestorben, das war schlimm«, meint die Frau mit dem dünnen Haar und dem beinahe zahnlosen Mund. »Ich bin ein Heimkind«, erzählt sie, »und wollte nie wieder in ein Heim. Doch in Stuttgart ist es nicht möglich, etwas Eigenes zu finden. Aber«, räumt sie dann ein und lacht, »mir konnte nichts Besseres passieren, als in der Frauenpension zu landen! Hier habe ich Hilfe gefunden. Was würde ich anders machen, wenn ich hier Chefin wäre? - Nichts.«
Worte, die Marie Nestele freuen. Sie leitet die Frauenpension und weiß, wie schwierig es für ihre Klientinnen ist, eine passende Wohnung zu finden. »Eine Frau lebt seit zehn Jahren bei uns«, erklärt sie, und dass viele resignierten der sich aufgegeben hätten, weil es keine Perspektiven gebe. Auch für die Frauenpension gibt es eine lange Warteliste. Wer einen Platz ergattert, kann sich freuen: Die Frauen müssen sich selbst versorgen und die Hausordnung einhalten. Sie entscheiden, welche Hilfen sie aus dem vielfältigen Unterstützungsangebot annehmen. »Wir sichern die Existenz der Frauen, sind für sie da und versuchen, sie zu stabilisieren«, sagt Maria Nestele - bei Tanja Dimitralas und Cristina Sole scheint es zu gelingen.
Ähnlich wie Tanja Dimitralas hat auch Cristina Sole in der Frauenpension ihre beste Freundin kennengelernt. »Das Leben hat es nicht gut mit mir gemeint«, erklärt sie. »Ich hatte eine vergiftete Kindheit, bin als uneheliches Kind in einem italienischen Dorf geboren - ein Skandal! - und habe meinen Vater nie kennengelernt. Ihre Mutter musste das Dorf verlassen und gab das Neugeborene in die Obhut katholischer Schwestern. »Ich musste putzen und habe in der Küche gearbeitet«, erinnert sich die 61-Jährige, »als 17-Jährige war ich stark verhaltensgestört und psychisch krank. Ich habe viele Therapien gemacht, vollgestopft mit Medikamenten, und bin als Jugendliche emotional verhungert und erfroren.«
Ihr Zimmer in der Frauenpension möchte sie nicht zeigen - es ist überfüllt mit allen möglichen Dingen. »Ich habe nie etwas besessen, mir hat nie etwas gehört «, sagt sie, »jetzt habe ich den Drang, alles zu horten.«
Jeder einzelne Tag ist ein Kampf
Cristina Sole hat nie Alkohol getrunken oder Drogen angerührt - »und doch muss ich jeden Tag mit mir kämpfen«, gesteht sie. »Ich könnte es mir so gut gehen lassen, aber mein Kopf spielt nicht mit«, sagt sie traurig. Sie wünscht sich so sehr, dass ihre Zwänge verschwinden und dass dann in ihrem Zimmer alles schön und ordentlich ist. In der Frauenpension bekommt sie die große Angst, zu hungern und zu erfrieren, ein wenig mehr in den Griff. Und da ist noch etwas, das ihr Halt gibt: Der Gesang. Mit ihrer wunderschönen Stimme ist Cristina Sole als Solo-Sängerin in der Vesperkirche aktiv. Menschen, die ihr zuhören, ihr Wertschätzung und Anerkennung entgegenbringen - auch das eine völlig neue, sehr beglückende Erfahrung für die 61-Jährige.
Text: Diana Müller, Kath. Sonntagsblatt Ausgabe 38/2018
Mit freundlicher Genehmigung des Katholischen Sonntagsblattes