Kopierte Schafe und Papierschiffchen
Als die Vermietungsgesellschaft GAGFAH wochenlang den Rasen nicht mähen ließ, stellte Ambaum ein Schaf auf die Wiese, machte ein Foto, das er kopierte, bis eine Herde daraus geworden war, und veröffentlichte das "Klon-Bild" in der Zeitung. Oder er bastelte Papierschiffchen, die die Kinder auf dem Wasser im Keller im Beisein der Pressefotografen schwimmen lassen, nachdem Hinweise auf das aus dem Rohr tropfende Wasser über Monate keinen Klempner gelockt haben. Interessante Bilder bringen Öffentlichkeit - und die kann was bewegen.
Ein Kampf Mieter gegen Vermieter als sozialraumorientierter Ansatz der Caritasarbeit? Lehrbuch ist das vielleicht nicht, und der "Gemeindecaritäter" Ambaum bekennt auch gleich, dass er mit diesem Begriff wenig anfangen kann. Er spricht lieber von "Nachbarschaftshilfe". Aber im Ergebnis kommt es aufs Gleiche hinaus. Denn die fantasievollen Aktionen haben inzwischen nicht nur den großen Wohnungskonzern bewegt, sondern auch die Menschen in den ergrauten Wohnblöcken aus den 70er-Jahren. Bonnefeld ist ein zwischen Bundesstraße und Mannesmann-Werk eingezwängter Stadtteil in Duisburg, dessen verborgener Charme sich dem Außenstehenden erst durch Ambaums Inneneinsichten erschließt.
Erkunden, was die Menschen brauchen
Am Anfang war die Einsamkeit. Die Bewohner kannten sich kaum. Die Mieter glaubten sich mit ihren Problemen allein, fühlten sich verkauft, nachdem ihre Wohnungen von der Kassenärztlichen Vereinigung an die LEG und weiter an die GAGFAH durchgereicht worden waren und sie mit ihren defekten Heizungen und dem Schimmel an der Wand immer nur abblitzten. Wobei das nicht der Anlass für eine Initiative der örtlichen Gemeindereferentin war. Christa Blokesch, Gemeindereferentin in St. Judas Thaddäus, ging es darum, dass die Gemeinde wieder Kontakt zu den Menschen im Bonnefeld bekam. Nur Geld sammeln und Geschenke an kranke und alte Menschen oder einen Ausflug ausgeben erschien jedoch dem jungen Vorstand der Caritas-Konferenzen zu wenig. Also bat die Gemeindereferentin Horst Ambaum von der Caritas um Hilfe.
Wenn Horst Ambaum (l.) in der Hochhaussiedlung unterwegs ist, wird er häufig angesprochen: ein echter Quartiersmanager.Harald Westbeld
Ideen wurden gewälzt, eine große Besuchsaktion geplant und schließlich die Bewohner zu einer Mieterversammlung eingeladen. Sieben von 350 Mietparteien kamen. Aber es war ein Anfang: Probleme wurden angesprochen und vereinbart, dass jeder zum nächsten Mal einen weiteren Mieter mitbringt. Beim zweiten Treffen vervierfachte sich die Zahl und es wurde die Mieter-initiative gegründet, beim dritten Treffen kamen schon gut 70. Die Schafaktion wurde geplant, denn es sollte nicht beim Ärgern bleiben.
Auch nicht beim Kampf gegen die GAGFAH. Schon bei einem ersten Gang durch den Stadtteil erfuhr Ambaum, dass es auch an einer Möglichkeit, sich zu treffen, fehlte. Heute gibt es dafür die Erdgeschosswohnung Bonnefeld 34, links: Der "Bewohnertreff Mitten Drin" entwickelt sich derzeit zum Kern der Caritas- und Gemeindearbeit. Mieterinitiative, Bürgerverein und Caritasgruppe nutzen ihn. Eine Schulaufgabenbetreuung soll in Kürze starten, einige der vielen älteren Bewohner spielen hier Karten.
Lebensqualität im Viertel wächst
Neulich ist ein Frühstückstreff gestartet, bei dem sich Bewohnerinnen unterschiedlicher Kulturen kennenlernen können. Da hat auch einer der vielen Zufälle mitgespielt. Bei einem seiner Besuche im Bonnefeld hatte Ambaum beobachtet, dass die deutschen und die türkischen Frauen auf getrennten Seiten saßen und in der Mitte ihre Kinder zusammen spielten.
Erkunden, was die Menschen wünschen und brauchen, ist der Ansatz, nicht anbieten. "Alle reden von Sozialraumorientierung" sagt Ambaum, doch "das fängt in solchen Projekten an." In seinem Büro allerdings findet man den Caritas-Mitarbeiter eher selten. Denn "wir müssen in die belasteten Räume hineingehen, nah bei den Menschen sein", betont er. Er will Eigeninitiative wecken und begleiten.
Das ist auch die Basis des nächsten Projekts im Stadtteil Huckingen. Nachbarschaftshilfe soll hier wachsen, nur angeregt und gefördert durch die Caritas: gegenseitige Hilfe beim Schneeschippen oder Einkaufen zum Beispiel. "Wenn es komplizierter wird, helfen wir", erklärt der Sozialarbeiter. Christa Blokesch kann sich auch Tauschhandel im Kleinen vorstellen. Die nicht mehr so mobile alte Frau backt einen Kuchen, dafür führt der Nachbar ihren Hund aus. "Die Hilfe auf Augenhöhe geht nur im Kleinen", erklärt Ambaum.
Zuhören ist dafür ganz wichtig, so seine Erfahrung. Nach und nach sollen deshalb alle Familien im Bonnefeld besucht werden. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Die eingeplante Zeit reicht bei Weitem nicht, denn die Menschen erzählen viel, und daraus wachsen neue Ideen. So hat Ambaum beispielsweise erfahren, dass der Weg zu den nahen Schrebergärten und zum Spielplatz dahinter vom Nachbarvermieter LEG gesperrt worden ist und damit lange Umwege zu gehen sind - zu lang für alte Menschen und Mütter mit ihren Kindern. Gemeinsam soll das Problem jetzt angegangen werden. Als Erstes soll der Leiter des Bezirksamtes angesprochen werden, ob das überhaupt zulässig ist.
Schritt für Schritt wird das Bonnefeld lebenswerter. Für Familien war es entgegen dem ersten Eindruck eigentlich immer attraktiv, weiß Ambaum. Die Kinder seien hier geschützt vor Autoverkehr, die Rasenflächen dürften sie frei nutzen, die Wohnungen seien gut geschnitten. Da müsste es auch im Interesse der GAGFAH sein, die Wohnungen und Außenanlagen in Ordnung zu halten. Denn etwa 100 Wohnungen stehen derzeit leer.
Ob diese Erkenntnis durchgesickert ist oder nur die öffentlichen Aktionen mit Schafen und Papierschiffchen wirken, ist nebensächlich. Jedenfalls tut sich was. Sechs Wochen "Friedenspflicht" haben Mietervertreter und Caritas mit GAGFAH-Vorständen in der Konzernzentrale in Essen vereinbart. Das Bonnefeld hat jetzt Priorität. Der Spielplatz ist für die Sanierung gerade eingezäunt, eine Delegation der GAGFAH geht während des Gesprächs mit Ambaum und Blokesch vor dem Fenster vorbei von Tür zu Tür. Mieter berichten, dass gemeldete Mängel in kürzester Zeit behoben werden.
Das soll nicht das Ende sein. Ambaum und Blokesch hoffen, dass die GAGFAH ihnen auch die Kaltmiete für den Bewohnertreffpunkt erlässt, damit dieser Bestand haben kann. Denn auf Dauer wird die Gemeinde ihn nicht finanzieren können. Bei der Einrichtung haben die Selbsthilfekräfte der Bewohner und ihre Eigeninitiative gewirkt. Allerlei Gebrauchtes haben sie zusammengesucht. Funktionell und mit eigenem Charme, pragmatisch und kreativ wie die Schafherde. Die Aktion hat übrigens eine 72-jährige Bewohnerin bei Facebook gepostet und auch damit für Öffentlichkeit gesorgt.