In der Caritas-Einrichtung leben 50 Frauen, die in ihrem Leben bereits viel Schmerz erlebt haben. Ihre Lebensläufe sind häufig gezeichnet von Drogenabhängigkeit, psychischer und körperlicher Erkrankung, Gewalterfahrungen, Schulden und Arbeitslosigkeit. Wichtig für den Erfolg des Konzepts ist: Die Frauen werden erstmal in Ruhe gelassen und können so zur Ruhe finden. Dadurch entsteht Vertrauen und damit die Basis, um die eigenen Probleme angehen zu können.
Bei ihrer Gründung im Jahr 1994 setzte die Frauenpension als bundesweit einmalige Einrichtung neue Maßstäbe in der Unterstützung von wohnungslosen Frauen. Das bis heute gültige Konzept lautet: Frauen in Not einen geschützten Ort zu bieten, die Zugangsbeschränkungen dabei so niedrig wie möglich zu halten und ihnen niederschwellig Unterstützung und Beratung anzubieten, ohne sie dazu zu verpflichten. Auch 30 Jahre nach der Gründung der ersten Frauenpension erreicht dieser Ansatz viele Frauen in schwierigen Lebenssituationen und ist heute ein wichtiger Baustein in der Hilfe für wohnungs- und obdachlose Frauen in Stuttgart. "Die Stuttgarter Caritas hat bereits vor 30 Jahren diesen besonderen Bedarf erkannt", erklärt Raphael Graf von Deym, Vorstand des Caritasverband für Stuttgart. "Unsere Aufgabe ist es, dorthin zu schauen, wo keiner mehr hinschaut und Verständnis zu wecken auch für schwierigste Lebensläufe."
In Stuttgart sind aktuell rund 1.500 Frauen* von Wohnungsnot betroffen, wobei die Dunkelziffer viel höher liegt. Dabei wird das Problem immer größer: Zu wenig Wohnraum und zu hohe Mieten verschärfen die Situation. Harald Wohlmann, Bereichsleiter Armut, Wohnungsnot und Schulden beim Caritasverband für Stuttgart, erklärt: "Der Hilfebedarf der Frauen, die zu uns kommen, verändert sich: Die Zahl der Frauen nimmt zu, für die das niederschwellige Angebot der Frauenpension genau das Richtige ist. Ich bin dankbar, dass es uns mit der Stadt Stuttgart gemeinsam gelingt, das Angebot diesem Bedarf anzupassen und die Hilfe weiterzuentwickeln."
Ein Ort zum Schutz finden und neues Vertrauen zu fassen
Frauen, die von Wohnungsnot betroffen sind, sind besonders verletzlich. Viele versuchen lange aus Scham ihre Not zu verbergen, kommen bei Bekannten unter oder prostituieren sich für einen Schlafplatz.
Die Frauenpension im Veielbrunnenweg bietet diesen Frauen einen geschützten Ort. Die 52 Zimmer sind sauber, gepflegt und mit hellen Möbeln freundlich eingerichtet. Jedes Zimmer hat eine kleine Kochnische, manche haben sogar ein eigenes Bad. Bis zu drei der Zimmer - sogenannte "Unterschlupfplätze" - sind für junge Frauen zwischen 16 und 18 Jahren reserviert. In drei Zimmern dürfen auch Hunde und andere Haustiere mit einziehen, denn sie sind oft wichtige Begleiter und seelische Stützen der Frauen. Zusätzlich gibt es zwei ständige Notübernachtungsplätze. Im multiprofessionellen Team arbeiten sieben Sozialarbeiterinnen in Voll- und Teilzeit, eine FSJ-lerin, eine Studentin, je eine Mitarbeiterin für Verwaltung und für Hauswirtschaft sowie ein Hausmeister.
"In der Frauenpension wollen wir den wohnungslosen Frauen, die oft im Schatten stehen, die empathische und solidarische Unterstützung geben, die sie verdienen", sagt Birgit Reddemann, Fachdienstleiterin "Hilfen für Frauen" beim Caritasverband für Stuttgart. Eine von ihnen ist Magdalena B. Die 61-jährige gebürtige Tschechin hat in ihrem Leben mehrmals alles verloren und musste ganz von vorne beginnen. Mehrere schwere Erkrankungen und der Tod ihres Mannes führten die dreifache Mutter in eine Spirale aus Schulden, Wohnungsverlust und eine tiefe seelische Krise. In der Frauenpension konnte sie zur Ruhe und zu sich selbst finden. Jeden Montag kocht sie für die Frauen und hilft auch bei der Kleiderkammer im Haus sowie beim wöchentlichen Kaffeenachmittag. "Ich entdecke mich ganz neu und habe jetzt mehr Selbstbewusstsein", sagt Magdalena B. über sich selbst: "Dieses Haus ist mein neuer Start ins Leben."
* Im Jahr 2023 waren im gesamten Stuttgarter Hilfesystem 1.505 wohnungs- und obdachlose Frauen erfasst.
INFOBLOCK
Die Frauenpensionen der Stuttgarter Caritas - damals und heute
Im Oktober 1994 wurde die Frauenpension im Veielbrunnenweg eröffnet. Auslöser für die Gründung war damals die zunehmende Wohnungsnot von Frauen und das unzureichende Hilfeangebot: Es gab nur wenige Angebote für wohnungslose Frauen, viele wurden mangels einer Alternative in Gasthöfen untergebracht.
Im Jahr 2023 wurde die Frauenpension in der Wilhelmstraße eröffnet, deren Schwerpunkt auf der Begleitung von Frauen mit besonderem gesundheitlichen Bedarf liegt. Von 2016 bis 2023 gab es eine weitere Frauenpension in der Kegelenstrasse, deren Bewohnerinnen mit Eröffnung der Wilhelmstraße dorthin umgezogen sind.
In allen Frauenpensionen sind die Zugangskriterien so gering wie möglich gehalten: Die Frauen müssen sich beim Einzug selbst versorgen können und es darf kein aktuelles Hausverbot vorliegen. Sie können in hohem Maß selbst mit entscheiden, ob und in welchem Umfang sie sozialarbeiterische Unterstützung akzeptieren und annehmen können oder wollen. Die Vermittlung der Zimmer erfolgt über die Zentrale Fachstelle der Wohnungsnotfallhilfe der Stadt Stuttgart in Kooperation mit den zuständigen Fachberatungsstellen (Zentrale Frauenberatung, Zentrale Beratungsstelle für junge Erwachsene und Sozialberatung). Das Vorstellungsgespräch im Haus ist in der Regel gleichzeitig das Aufnahmegespräch.
Zum Geburtstag: Fotos aus der Frauenpension
Zum 30. Geburtstag der Frauenpension im Veielbrunnenweg werden zwei Fotoausstellungen gezeigt. Die Ausstellung "Frauen im Schatten" ist 2012 entstanden und zeigt Porträts von Bewohnerinnen der Frauenpension, die der Fotograf Heinz Heiss aufgenommen hat. Die Texte zu den Bildern stammen von Katrin Haasis. In ihrem Vorwort zum Ausstellungskatalog schrieb sie: "Mangelnde Bildung, Alkoholmissbrauch in der Familie, Schläge in jungen Jahren, Vergewaltigungen, sogar Mord und Totschlag, seelische Probleme, aber auch eigenes Versagen, Schwäche und fast immer Sucht zeichnen die Lebensläufe der Frauen." Was sie und der Fotograf Heinz Heiss aber wollten, war: "Dass die Frauen einmal in ein anderes Licht gerückt werden." Zum 30. Geburtstag ist nun wieder eine Fotoausstellung entstanden: Die junge Fotografin Nadja Fleck hat sich im Rahmen ihres Studiums der Visuellen Kommunikation an der Merz Akademie in Stuttgart intensiv mit der Thematik der Obdach- und Wohnungslosigkeit von Frauen beschäftigt. Durch eine Reportage wurde sie auf die Frauenpension aufmerksam und war sofort begeistert von der Idee, dort ihre Abschlussarbeit zu realisieren.
Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit in Stuttgart
In Stuttgart lebenschätzungsweise bis zu150 Obdachlose, also Menschen die im Freien übernachten. Hinzu kommen rund 3.700 untergebrachte Wohnungslose (Stand 31.1.2023). Das sind Menschen ohne eigene Wohnung und ohne eigenen Mietvertrag. Sie leben zum Beispiel in sogenannten Sozialhotels oder in ambulanten oder stationären Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe.