Gedenken ist gelebter Widerstand gegen Menschenfeindlichkeit
Am 18. Januar 1940 fuhren die ersten "Grauen Busse" von der Pflegeanstalt Egelfing-Haar bei München ins beschauliche Dorf Grafeneck bei Reutlingen. Dort wurden die 25 Männer - noch am Tag ihrer Ankunft - mit Kohlenmonoxid ermordet. Bis zum 13.12. 1940 tötete das Personal der sogenannten "Euthanasie"-Aktion alleine in Grafeneck 10.654 Menschen. Vor den Tötungen stand die Ausgrenzung: Hier die lebenswerten Menschen, da die nicht lebenswerten. Kinder lernten diese Begriffe in der Schule, Wissenschaftler vertraten sie in ihren Lehrbüchern.
Zum Gedenken an die Opfer der "Euthanasie" fand nun bereits zum vierten Mal eine gemeinsame Veranstaltung des Sozialamtes der Stadt Stuttgart und des Gemeindepsychiatrischen Verbundes statt. Dr. Alexandra Sußmann Bürgermeisterin für Soziales und gesellschaftliche Integration begrüßte die Gäste im Haus der katholischen Kirche und mahnte: "Jeglicher Form von Ausgrenzung von Beginn an entgegen zu treten". Für Thomas Stöckle, Historiker und Leiter der Gedenkstätte Grafeneck e.V., ist es auch 80 Jahre nach den Morden wichtig, "der Erinnerung einen Ort und den Opfern einen Namen zu geben".
Die Regisseurin Alexandra Pohlmeier stellte in einem Interviewfilm Dorothea Buck vor. Dorothea Buck wurde von den Nationalsozialisten zwangssterilisiert und entging nur knapp der Euthanasie. Sie war die Mitbegründerin der "Arbeitsgemeinschaft Bund der ‚Euthanasie‘-Geschädigten und Zwangssterilisierten (AG-BEZ)", des Psychoseminars und der Selbsthilfe der Psychiatrie-Erfahrenen in Deutschland. Sie starb letztes Jahr im Alter von 102 Jahren.
Dr. Klaus Obert, Bereichsleiter Sucht- und Sozialpsychiatrie, mahnte in seiner Begrüßung vor Sorge bereitenden politischen Entwicklungen: "Was nehmen wir heute wahr an Haltungen, Meinungen, Weltbildern, latenten und manifesten Positionen bezüglich sogenannter Minderheiten und deren gruppenbezogener Abwertung?" Er zitierte aus dem Grußwort, das Muhterem Aras, die baden-württembergischen Landtagspräsidentin, geschickt hatte: "Gedenken ist gelebter Widerstand gegen Menschenfeindlichkeit im Hier und Jetzt." Das Leitbild des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" müsse zum "Leitsatz in allen gesellschaftlichen Diskussionen werden".