Dr. Wilhelm Schäffer, Staatssekretär vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, bei seinem Vortrag "Soziale Innovation – soziales Unternehmertum: Bedeutung für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik in NRW" zum Impulsthema "Die EU-Initiative für soziales Unternehmertum und soziale Innovationen" am 1. Tag des Europaforums der Caritas in NRW in Brüssel.Harald Westbeld
Brüssel/Düsseldorf - Wirtschaftswachstum ohne soziale Komponente ist nicht nachhaltig. Das hat sich in der Finanzkrise deutlich gezeigt und ist von der EU-Kommission erkannt. Künftig soll in ihrer Strategie 2020 Wachstum mit sozialem Nutzen verbunden und damit nachhaltig werden. Mit dem sozialen Unternehmertum als einen Baustein beschäftigt sich die Caritas in NRW Donnerstag und Freitag auf ihrem EU-Forum in der NRW-Landesvertretung bei der Europäischen Kommission in Brüssel. Für die Caritas stelle sich die Frage, ob und "wie die benachteiligten Gruppen tatsächlich profitieren können", sagte der münstersche Diözesan-Caritasdirektor Heinz-Josef Kessmann. Skeptisch standen die Referenten der Idee privatwirtschaftlicher Organisation sozialer Arbeit gegenüber, empfahlen den Wohlfahrtsverbänden aber, von innovativen zu lernen und ihr Bemühen um die Aktivierung zivilgesellschaftlichen Engagements zu verstärken.
Ehrgeizige Ziele hatten sich die Europäische Union schon in der Vergangenheit gesetzt und sie auch in die aktuelle Strategie 2020 geschrieben. Die Zahl der Armen sollte deutlich verringert werden, ist aber tatsächlich im Zuge der Finanzkrise seit 2009 von 115 auf 124 Millionen in den 28 Mitgliedsstaaten gewachsen. Zwar bleibe das Wachstum der Wirtschaft auch künftig vorrangiges Ziel, so Kessmann, aber es sei eine ganze Reihe von Zielen formuliert, die den sozialen Zusammenhalt stärken sollen.
Eine Reihe guter Ansätze sieht Prof. Dr. Bernd Schlüter von der Katholischen Hochschule Berlin in diesem neuen Ansatz der EU wie beispielsweise die Stärkung der Gemeinnützigkeit oder die Belebung des Genossenschaftswesens. Er warnte jedoch davor, dass sich die Strategie auch zum "Teil einer neoliberalen Agenda" werden könnte. Manche Ideen erschienen unrealistisch wie die Forderung, dass die Verbände nicht nur die sozialen Dienstleistungen erbringen, sondern sie auch noch selbst finanzieren sollten. Erkennbar seien Tendenzen, dass die Initiative missbraucht werden könnte. Dazu stellte Schlüter klar: "Die Strategie darf nicht dazu führen, dass sich der Staat seiner Verantwortung entzieht."
Die Grenzen staatlichen Rückzugs und privatwirtschaftlicher Organisation zeigten sich beispielsweise in Griechenland. Nach dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems sei ein deutlicher Anstieg der Kindersterblichkeit erkennbar. Die Maßnahmen die dazu geführt hätten, so Schlüter, seien von der Troika gefordert und der EU abgesegnet worden.
Die Unverzichtbarkeit eines staatlich gelenkten Sozialsystems betonte auch Staatssekretär Dr. Wilhelm Schäffer vom NRW-Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales. Darin seien in Deutschland die Wohlfahrtsverbände ein unverzichtbares Element. Auch er zeigte sich gegenüber einer Privatisierung skeptisch. Gerade in der derzeitigen Krise habe sich diese besondere deutsche Organisationsform als stabilisierend erwiesen. Daneben sei der soziale Sektor nicht zuletzt ein Wirtschaftsfaktor. In Europa sei er für zehn Prozent der Wertschöpfung verantwortlich, in Deutschland für sieben Prozent. Der Maschinenbau trage dagegen nur drei Prozent bei. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels, werde die Bedeutung der sozialen Arbeit noch wachsen.
Nichtsdestotrotz müsse über neue Wege nachgedacht werden. Als Beispiel nannte Schäffer die wenig erfolgreiche Ausgleichsabgabe zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Viel besser wirkten die in den letzten Jahren geschaffenen Integrationsunternehmen. Bei der verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit sei zu überlegen, verstärkt auf öffentliche Beschäftigung zu setzen für diejenigen, die anders nicht mehr zu erreichen seien.
Insgesamt hat sich der soziale Sektor als Stabilitätsanker in der Krise erwiesen. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen sei er sogar noch gewachsen von elf auf 14 Millionen Beschäftigten europaweit, erklärte Ariane Rodert, Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Skeptisch zeigte sie sich gegenüber der Idee, soziale Arbeit künftig verstärkt über soziale Investmentfonds zu finanzieren: "Wir wollen nicht, dass künftig die Banken die Prioritäten setzen."
Gut für neue Ideen, aber weniger dafür geeignet, "noch kurz die Welt zu retten", hält Prof. Dr. Katrin Schneiders von der Hochschule Koblenz, die neuen sozialen Unternehmen. Ihnen fehle häufig die Nachhaltigkeit und sie besetzten eher nur Nischen. Sucht oder Wohnungslosigkeit seien für sie keine attraktiven Arbeitsfelder. Vor ihnen solle sich die Caritas nicht bange machen, sondern besser selbstbewusst aufzeigen, was sie könne und leiste. Deutschland habe ein so robustes und schon fortschrittliches Sozialsystem, das sich andere Staaten wünschten. Hier rechne sie deshalb mit einem eher geringen Anteil von Neugründungen sozialer Unternehmen.