"Die Anzahl der Pflegebedürftigen in Deutschland wird bis 2035 um 30% auf 4,8 Mio. ansteigen. Demgegenüber steht ein akuter Fachkräftemangel, der bis 2035 auf über 500.000 fehlende Pflegekräfte prognostiziert wird. Gleichzeitig ist sorgfältige Pflegedokumentation sehr wichtig, jedoch ist der zeitliche Aufwand mit über 30% der Arbeitszeit sehr hoch. Das wollen wir ändern und den pflegebedürftigen Menschen in den Vordergrund stellen. Voize ist der digitale Sprachassistent für Pflegedokumentation. Er erleichtert den Pflegealltag, verbessert die Qualität der Dokumentation und erlaubt Pflegeeinrichtungen sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren." Fabio Schmidberger, Mitgründer des Startups voize
Sefaat Kayan ist 23 Jahre jung, Altenpflegerin von Beruf, und sie liebt die Arbeit mit den alten Menschen im Haus St. Ulrich in Stuttgart-Mönchfeld. Doch rund 30 Prozent ihrer Arbeitszeit verbringt sie damit, ihre Arbeit zu dokumentieren. Zeit, die sie am Computer verbringt und nicht bei den Menschen. Die Pflegedokumentation ist zweifelsohne wichtig - doch wie könnte man sie organisieren, damit sie möglichst schnell und leicht erledigt werden kann und so mehr Zeit für die Pflege bleibt?
Fabio Schmidberger ist 22 Jahre jung und studiert Softwaretechnik an der Universität Stuttgart. Zusammen mit seinem Zwillingsbruder Marcel und mit ihrem Kollegen Erik Ziegler haben sie das Startup voize gegründet. voize ist auch der Name ihrer App für sprachgesteuerte Pflegedokumentation übers Smartphone. So soll die Pflegedokumentation schneller und einfacher werden, sodass mehr Zeit für die Menschen bleibt. Pflegekräfte können die Dokumentation am Smartphone einsprechen und das auch direkt bei der Pflege. Die erstellten Dokumentationseinträge werden automatisch in die bestehende Dokumentationssoftware übertragen.
Wie kommen junge Menschen Anfang 20 auf die Idee, eine App für die Pflegedokumentation in Alten- und Pflegeheimen zu entwickeln? Ganz einfach: Durch ihren Opa. Wenn Fabio Schmidberger seinen Opa im Pflegeheim besucht hat, konnte er beobachten, wieviel Zeit die Pflegekräfte für die Dokumentation aufbringen müssen, wie sie ihre Notizen auf Papier geschrieben haben und anschließend alles in einen Computer übertragen. "Aber der Grund, weshalb jemand diesen Beruf erlernt, ist doch, weil er oder sie mit Menschen arbeiten möchte", haben sich Fabio Schmidberger und seine Kollegen gedacht. Und so begannen Sie darüber nachzudenken, wie man mittels einer App auf dem Handy die Pflegedokumentation erleichtern könnte.
Mit dem Bereich Altenhilfe des Caritasverbands für Stuttgart e.V. fanden die jungen Unternehmer einen Kooperationspartner, mit dem sie gemeinsam nun die App entwickeln und vor allem für sie wichtige Einblicke in den Pflegealltag bekommen. "Das hat uns schon überzeugt", sagt Sebastian Menne, stellvertretender Bereichsleiter der Altenhilfe, "dass sie uns kein fertiges Produkt verkaufen wollten, sondern sich in unsere Arbeit von Grund auf hineingedacht haben."
Sprechen ist leichter und schneller als schreiben
Die jungen Softwareentwickler hospitierten in verschiedenen Altenheimen des Caritasverbandes, sprachen mit den Menschen, die dort arbeiten und konnten sich so ein Bild davon machen, was eine digitale Pflegedokumentation alles können muss und wer die Menschen sind, die diese in ihrem Berufsalltag bedienen.
Noch ist die App in der Erprobung, aber die Altenpflegerin Sefaat Kayan ist jetzt schon begeistert von diesem Hilfsmittel. "Wir haben so in naher Zukunft sehr viel mehr Zeit für die Bewohner_innen", freut sie sich. Sie und ihre Kolleg_innen können direkt bei den Bewohnern Daten und Befunde ins Handy sprechen. "Die Künstliche Intelligenz von voize versteht den Pflegekontext und generiert automatisch strukturierte Dokumentationseinträge. Mittels Schnittstellen werden die Daten in bestehende Dokumentationssysteme übertragen. Alles läuft lokal auf dem Smartphone. So werden keine Daten in die Cloud geschickt. Damit werden hohe Datenschutzstandards erreicht und auch Pflegeeinrichtungen ohne flächendeckendes WLAN profitieren von der Anwendung", sagt Fabio Schmidberger.
"Für viele ist Sprechen auch leichter als Schreiben", weiß Sefaat Kayan. Für viele ihrer Kolleg_innen, die vielleicht noch nicht so gut deutsch können, ist das eine große Erleichterung - auch weil die App Rechtschreibung und Grammatik automatisch korrigiert. Und dank dieser Entwicklung mehr Zeit mit den Menschen zu haben, "das ist auch eine tolle Aufwertung unseres Berufes", sagt Sefaat Kayan.
Besuch bei Gesundheitsminister Jens Spahn
Erik Ziegler, Fabio und Marcel Schmidberger wurden bereits mehrfach für ihre Idee ausgezeichnet. Jüngst vom Existenzgründerportal Für-Gründer aus dem F.A.Z. Verlag mit Platz 3 der Top 50 Startups Deutschlands, im September vergangenen Jahres gewannen sie den Businessplan-Wettbewerb am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam. Im November 2019 stellten sie ihre Ideen im Gesundheitsministerium in Berlin unter anderem Gesundheitsminister Jens Spahn vor. Das Team von voize zeigt, wie sich die Pflege entwickeln und verbessern kann, damit mehr Zeit für die zu pflegenden Menschen bleibt und auch die Berufe in der Pflege attraktiver werden.